Freitag, 5. Juni 2009

Kräne, Kirchen und Kasernen

Wenn ich am abend den Blick über die Skyline schweifen lassen kann und die Reflexionen der untergehenden Sonne in den Fassaden der fernen Bürohäuser beobachte, dann hat das etwas Beruhigendes. Auch die unzähligen Baukräne der Stadt haben ihre Arme dem Nordwestwind folgend zur Ruhe gebettet und sehen gemeinsam ein wenig aus, als wollten sie mir den Weg "in die Freiheit", in die Heimat zeigen. Sie gleichen ein wenig einer zur Rast gelandeten Schwanenkolonie, die ihre Hälse an ihre Körper legten um zu schlafen.
Ein weiterer Vorteil dieser Aussicht aus dem 18. Stock des AKH ist, dass man das AKH nicht sieht. Dieses Mahnmal, das mich, gleichgültig aus welcher Entfernung ich es auch erspähe, immer wieder an meine mittlerweile recht detailreiche Krankengeschichte erinnern muss. Ich sehe also Kräne, Kirchen und Kasernen - das Praterstadion, das Riesenrad und die Flaktürme im Augarten. Ich sehe viele, viele Dinge und hätte eigentlich Lust auf ein frisches, großes, kühles Bier.
Die Nacht legt langsam ihr schützendes Dunkel über die Stadt und es dringen immer weniger Geräusche zu uns herauf. Einzig der Wind umweht die zwei Türme und hin und wieder heulen irgendwo die Signalhörner der Einsatzfahrzeuge. Mich beschleicht ein wenig das Gefühl welches vielleicht auch eine Prinzessin in ihrem einsamen, dunklen Turmverlies haben mag, wenn sie auf die ungewisse Ankunft ihres Befreiers wartet. Das Warten auf .... ? Auch die rundum liegenden Türme haben ihre weithin sichtbaren Leuchtfeuer gezündet - ob dort auch so viele unnütz warten? Wohl kaum.

Tagsüber wird sich wieder Vielfältiges tun. Die Hierarchien unter den Alchimisten und Magiern werden sich erneut dem kleinen Bürger offenbaren und er wird erkennen, dass auch der "am größten wirkende" noch einen über sich hat. Student - Schwester - Oberschwester - Stationsarzt - Oberarzt - Professor - "Oberprofessor" - Zielinski (Bild der Visite) wobei danach nicht mehr viel kommt in der "Hierarchie onkologicus". Die Gespräche sind kurz, aber interessiert genug um real zu sein. Auf anderen Stationen haben solche Chefvisiten schon mal etwas von einer "Freakshow" - wobei dann wir, die Patienten im Käfig sitzen (liegen). Meine Lage beschert mir aufgrund der fehlenden Aussichtslosigkeit ein, wie gesagt, sehr kurzes, aber immerhin EIN Gespräch mit dem Chef der Chefs. So gesehen bin ich dann wieder froh, dass sich nicht alle um mich kümmern (müssen). Ab Mittag ergebe ich mich für die folgenden 26 Stunden dem Diktat des Infusionsautomaten, der seinerseits dafür sorgt, dass ich jede Stunde mit 23 ml Chemotherapie versorgt werde. Ja, das ist so spannend wie es klingt.

Und wieder wird es Abend werden. Und wieder wird es stiller. Und wieder weht der Wind - wenn "die schwarze Luft" kommt.

Dann kommt Tag drei - Chemo vorbei - Rettung herbei - nach Hause und frei

Euer MP (Laienmediziner f. Onkologie, Thoraxchirurgie und Orthopädie)

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